»The Touch« von Kinfolk and Norm Architects

»The Touch« – Architektur für alle Sinne. Eigentlich wussten wir es immer schon, dass herausragende Architektur fühlbar, hörbar, sichtbar und über Duft und Geschmack erfahrbar ist – und sein muss, um herausragend zu wirken. Kinfolk and Norm Architects legen mit »The Touch« bei Gestalten Verlag ein Buch in englischer Sprache vor, dass bildgewordener Beweis dafür ist. »Menschenzentrierte Architektur« ist der Begriff, den die Autoren im Vorwort verwenden um dieses Design zu beschreiben. Sinnlich, hamonisch und ganzheitlich erfassbar.

 

»»The Touch« presents 5 essential human building blocks – light, nature, materiality, color, and community – and welcomes you in over 25 homes, hotels, shops, museums, and schools around the world that exemplify how these haptic design elements can heighten the human senses and provide a richer quality of experience. For only when each sensor sends information to the brain do we fully understand and perceive the world around us in its entirety.«

Kinfolk and Norm Architects in der Einleitung

 

Mit diesen fünf Designelementen entstehen neue Wohnwelten, Lebensräume und eine menschliche Bindung der inneren Welt an die äußere. Erreicht die Architektur alle Sinne, erreichen wir Besucher und Bewohner dieser Räume unsere größtmögliche Übereinstimmung mit uns selbst und unseren Möglichkeiten. Wie wir diese Orte erleben ist der entscheidende Faktor dafür, einen Ort dieser Erde zu unserem zu machen.
Auf Entdeckungsreise zu diesen fünf Elementen führen uns fünf Designer und Architekten aus ganz Europa:

1. Das Licht: John Pawson, Architekt & Designer, England
2. Die Natur: Jonas Bjerre-Poulsen, Architekt, Dänemark
3. Die Materialität: Juhani Pallasmaa, Architekt, Finnland
4. Die Farbigkeit: David Thulstrup, Architekt und Designer, Dänemark
5. Das Gemeinschaftsgefühl: Ilse Crawford, Designerin, England

Ihnen allen ist gemein, dass sie die Welt kleiner denken als sie ist. Sie erfinden ruhige Formen sowie aufs Wesentliche reduzierte bauliche Ausdrücke dafür. Sie binden den geographischen Ort, die lebendige Kultur und Tradition in das Bauwerk ein, damit die Architektur einen Wert für alle essenziellen menschlichen Bedürfnisse im Alltag entfalten kann.

 

»Atmosphere, meaning the overall impression of a place, is processed through all of the senses in the same way that we sense the weather. It is a complex phenomenon, but also simply an experience.«

Juhani Pallasmaa

 

Die Natur – Hoshinoia Kyoto, Japan

Keine Zeit – im Hoshinoia Hotel in Kyoto. Foto von Jonas Bjerre-Poulsen, »TheTouch« von Kinfolk und Norm Architects, Gestalten Verlag 2019.

 

Hoshinoia Hotel bei Kyoto ist aus der Zeit gefallen. Erbaut vor etwa 100 Jahren in lokaler Holzbautradition liegt das Haus heute in einem stark geschützten Landschaftspark, ganz in der Nähe der Arashiyama Wasserfälle. Die Innenstadt von Kyoto liegt keine Stunde entfernt. In Hoshinoia scheint die Zeit stillzustehen. Das Hotel schenkt seinen gestressten Großstadtgästen Zeit. Uhren, Handys, Fernseher und andere eletrkonischen Geräte sind hier unerwünscht. Der Blick auf die alten Wälder und den im Tal vorbeiziehenden Fluß Ōi gibt
es nur zeitlos. Ebenso das Quaken der Frösche und den Tee mit Aussicht.
Gartengestaltung in Japan folgt anderen Regeln als in Europa. Alles wächst und vergeht zu einem einzigen Zweck – damit etwas bleibt.

 

»We want to propose something more natural, designed for a good life, with architecture and the interior as a backdrop for human engagement. We want to get back to something simple and useful.«

Jonas Bjerre-Poulsen über Natur

 

Die Materialität – Gjøvic House, Norwegen

Das Privathaus entworfen von Norm Architects liegt wohl fast am Rande der Welt. Und eröffnet durch seine Gestaltung weitere, neue Welten. Übergänge und Kreuzungspunkte im Inneren eröffnen Einblicke in andere Raumteile oder Ausblicke in die Weite der norwegischen Landschaft. Sechs Module des Cluster-Hauses greifen dazu ineinander. Die drei wichtigsten Baumaterialien sind Beton, Mauerwerk und Holz. Die Verbindung von Licht, Natur, Material, Farbe und Gemeinschaft sind in allen Räumen für ihre Bewohner präsent.

 

»Natural materials somehow tell the story of their coming into the world. The stone speaks of sedimentation and the wood speaks of growth. That also means that time is a very important requirement.«

Juhani Pallasmaa über Materialität

 

Das Gemeinschaftsgefühl – Tomba Brion, Italien

 

Der venezianische Architekt Carlo Scarpa hatte eine Vorstellung von einem Mausoleum, das Menschen trösten und Schutz bieten kann. Er wollte, dass sich Menschen dem Tod nähern und dabei im öffentlichen Raum der Gesellschaft verbleiben dürfen. Das 2.200 Quadratmeter große Gelände vereint einen massiven Betonbau mit Garten- und Wasserflächen sowie weit verzweigten Wandelpfaden. Ein stiller, kontemplativer, metaphysischer Ort. Carlo Scarpa starb während er noch letzte Arbeiten am Mausoleum vornahm. Er wählte sein Werk zu seiner eigenen und letzten Ruhestätte.

 

»Slow down. Understand what makes people feel comfortable. Prioritize the things they do every day. Prioritize the things people touch. Prioritize the way people feel.«

Ilse Crawford über Gemeinschaftsgefühl

 

• Schön zu lesen, dass die Autoren die Grundlagen eines sinnlichen und umfassenden Architekturverständnisses in etwa 25 Häusern, Schulen, Hotels, Wohnungen, Gästehäusern, Firmenbauten, Büros, Shops und anderen öffentlichen wie privaten Räumen beschreiben.
• … dass im Anhang des Buches Informationen zu ausgewählten und richtungsweisenden Designern wie Design-Stücken aufnommen wurden.
• … dass fünf Interviews mit namhaften Architekten und Designern zu einem Kernthema des Buchs geführt wurden und so einen Einblick in deren persönliche Art des Arbeitens eröffnen.

Bildnachweis: Mit Fotografien von Christian Møller Andersen, Jonas Bjerre-Poulsen, in »TheTouch« von Kinfolk und Norm Architects, Gestalten Verlag 2019.